EuGH und BGH: Neue Rahmenbedingungen für die Anerkennung als Kundenanlage
- hahn426
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Aktualisiert: vor 12 Minuten
Mit den aktuellen Urteilen des EuGH und des BGH zu Kundenanlagen und Verteilernetzen kommt erhebliche Bewegung ins deutsche Energierecht. Betreiber von PV-Anlagen, Gemeinschaftsprojekten und Mieterstrommodellen stehen vor neuen Herausforderungen: Wann gilt eine Energieleitung noch als privilegierte Kundenanlage? Wann werden die strengeren Vorgaben für Verteilernetze ausgelöst?
Unser Artikel bietet Projektentwicklern, Energieversorgern und Immobiliengesellschaften einen fundierten Überblick zu den aktuellen Rahmenbedingungen, erläutert die zentralen Unterschiede und gibt praxisnahe Hinweise zur rechtssicheren Ausgestaltung neuer und bestehendergieprojekte.
Wegweisende Urteile
Mit seinem Urteil vom 28. November 2024 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) einen deutlichen Impuls zur Vereinheitlichung der Definition von „Verteilernetzen“ innerhalb der EU gesetzt. Schon damals war absehbar, dass diese Entscheidung weitreichende Folgen für Betreiber von Kundenanlagen in Deutschland haben würde.
Im Anschluss hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 13.05.2025 (EnVR 83/20) die EuGH-Rechtsprechung auf nationales Recht angewandt und zur Regelung über Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24 und § 3 Nr. 25 EnWG Stellung genommen. Dabei hat der BGH den Begriff der „Kundenanlage“ neu bewertet – mit Konsequenzen für bereits umgesetzte Anlagen und künftige Projekte .
Kundenanlage oder Verteilernetz – wo liegt die Grenze?
Nach der neuen BGH-Rechtsprechung gilt:
1. Ein Stromnetz, das den Strom nicht nur weiterleitet, sondern auch für den Verkauf von Strom in Hoch-, Mittel- und Niederspannung bestimmt ist, ist als Verteilernetz einzustufen.
Der Fokus liegt hier auf der Komponente des Stromverkaufs, siehe Randnummern 17, 18, 29 des Urteils.
2. Eine Kundenanlage gemäß § 3 Nr. 24, 25 EnWG kann nur noch dann angenommen werden, wenn die Leitungsstruktur nicht als Verteilernetz qualifiziert.
Wann der Kundenanlagenbegriff noch gilt
Der BGH macht deutlich: Die Kundenanlage als rechtliche Figur verschwindet nicht. Die Regelung zur Kundenanlage in § 3 Nr. 24 und 25 EnWG wird aber streng im Sinne der EU-Richtlinie ausgelegt.
Der BGH nimmt eine Kundenanlage nur noch unter folgenden Voraussetzungen an:
1. Wenn das Leitungssystem nicht dem Verkauf von Strom dient, und zusätzlich
2. die Voraussetzungen aus § 3 Nr. 24 oder 25 EnWG vorliegen.
Konkret benennt der BGH als Beispiel für eine Kundenanlage gemäß der nun vorzunehmenden Gesetzesauslegung:
Stromnetze, die der Eigenversorgung der Betreiber dienen. Darunter fallen klassischerweise das von der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) betriebene Stromnetz im Mehrfamilienhaus oder die von mehreren Grundstückseigentümern für die Eigenversorgung selbst betriebene und selbst genutzte PV-Anlage.
Folgen der neuen Rechtsprechung
Die Neuauslegung des Begriffs der „Kundenanlage“ führt dazu, dass für zahlreiche bisher als Kundenanlagen behandelte Infrastrukturen künftig die erweiterten Pflichten für Verteilernetze gelten. Dazu gehören insbesondere folgende Pflichten:
Genehmigungspflicht durch die zuständige Behörde (§ 4 EnWG).
Entflechtungspflicht, d. h. Trennung des Energievertriebs von der Erzeugung (§§ 6 ff. EnWG).
Erhebung von Netzentgelten, Abgaben und Umlagen
Genehmigung der Entgelte
Netzanschluss für Dritte an das eigene Netz
Für Endverbraucher bedeutet dies insbesondere höhere Kosten durch zusätzliche Netzentgelte oder Umlagen. Gleichzeitig fallen die Endverbraucher unter einen höheren Verbraucherschutz, insbesondere hinsichtlich der Vorgaben zum Stromliefervertrag gemäß §§ 40 ff. EnWG.
Wichtig zu wissen ist, dass die Rechtsprechung grundsätzlich auch für Bestandsanlagen gilt.
Flucht in geschlossenes Verteilernetz?
Zudem spricht sich der BGH in seinem Urteil für eine Fortführung der Privilegierung der „geschlossenen Verteilernetze“ im Sinne von § 110 Abs. 2 EnWG aus. Diese werden jedoch nur auf Antrag des Netzbetreibers bei der Bundesnetzagentur anerkannt.
Auch sogenannte „Bürgerenergiegemeinschaften“ gelten als geschlossenes Verteilernetz gemäß Art. 16 EltRL. Diese Zusammenschlüsse sind sowohl Eigentümer als auch Betreiber des Netzes. Als Mitglieder einer solchen Gemeinschaft sind jedoch nur natürliche Personen, Gebietskörperschaften und Kleinunternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und weniger als 10 Mio. Jahresumsatz zugelassen. Dieses Modell der Privilegierung schließt somit die Beteiligung von Stadtwerken und größeren Energieversorgern in der Regel aus.
Dazu kommt, dass die Vorteile des geschlossenen Verteilernetzes nur sehr limitiert sind. Insbesondere wird der Betreiber auch des geschlossenen Verteilernetzes als Netzbetreiber angesehen, er muss Netzentgelte erheben und die Entflechtungspflicht umsetzen.
Was bedeutet die neue Rechtsprechung für konkrete Geschäftsmodelle?
Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung gemäß § 42b EnWG
Hier liegt der gesetzliche Schwerpunkt auf der Mitnutzung des am oder im Gebäude erzeugten Stroms durch die Hausbewohner. Voraussetzung ist gerade, dass keine Durchleitung des Stroms durch ein Netz erfolgt. Der Verkauf des Stroms ist nur optional.
Dieses Modell dürfte daher weiterhin unter den Kundenanlagenbegriff fallen.
Mieterstrom
Im Mieterstrommodell ist die Versorgung durch hauseigene Anlagen, aber auch durch auf Nachbargrundstücken installierte Anlagen zulässig. Das Gesetz geht konkret von einem Stromverkauf an die Mieter aus, da es Rahmenbedingungen für den Stromverkaufsvertrag vorgibt. Diese Einstufung könnte dazu führen, dass ein Verteilernetz angenommen wird.
Quartiersversorgung
Die Quartiersversorgung zeichnet sich dadurch aus, dass die Stromerzeugung außerhalb des versorgten Gebäudes erfolgt. Auch hier wird in der Regel der Strom an die versorgten Anlieger verkauft.
Eine Quartiersversorgung ist daher derzeit nur im Sinne einer Bürgerenergiegemeinschaft denkbar, die dann als geschlossenes Verteilernetz qualifizieren würde. Für größere Energieversorger ist diese Lösung jedoch wiederum nicht umsetzbar.
Darüber hinaus sieht die EU-Richtlinie Ausnahmen für kleine Verbundnetze und isolierte Netze (Art. 66 EltRL) vor. Hierfür ist jedoch ein Antrag der deutschen Bundesregierung an die EU-Kommission erforderlich.
Contracting
Im Contracting-Modell betreibt ein Dritter die im Eigentum des Gebäudeeigentümers stehende Anlage. Hier kann – je nach Verteilung der Betreiberpflichten – auch beim Gebäudeeigentümer eine Eigenversorgung angenommen werden.
Onsite-PPA
Das Onsite-PPA beinhaltet die Stromlieferung durch eine lokale Erzeugeranlage. Hier kommt es darauf an, wer Eigentümer der Erzeugeranlage ist und ob die Anlage zu 100 % der Eigenversorgung dient. Ist das mit Strom belieferte Unternehmen Eigentümer und Anlagenbetreiber, auch wenn die Betriebsführung ggf. an Dritte ausgelagert wurde, entspricht dieses Modell dem der Kundenanlage.
In Betracht kommt in diesem Fall auch eine Direktleitung im Sinne von § 3 Nr. 12 EnWG. Diese ermöglicht, dass auch bei Eigentum und Betrieb der Erzeugeranlage durch einen Investor mit Lieferung und Verkauf des Stroms an das Unternehmen kein Verteilernetz vorliegt.
Aktuelle Gesetzesvorhaben zur Klärung
Die vom Bundestag am 06. August 2025 vorgeschlagene EnWG-Novelle wurde vom Bundesrat am 26. September 2025 u. a. dahingehend kritisiert, dass die Novelle keine Klärung hinsichtlich der neuen Auslegung des Kundenanlagen-Begriffs herbeiführt und dadurch für Normadressaten weiterhin unklar wäre, wann eine Energieleitung als Kundenanlage privilegiert ist.
Der Bundesrat fordert den Bundestag auf, in § 3 EnWG klarzustellen, dass grundstücksinterne Energieverteilungsanlagen keine Verteilernetze sind, um die Umsetzung von Mieterstrommodellen, der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung und anderen Versorgungskonzepten in Mehrparteienhäusern und Gebäudekomplexen rechtssicher zu ermöglichen.
Fazit
Die jüngsten Entscheidungen von EuGH und BGH markieren einen Wendepunkt in der Regulierung von Kundenanlagen. Energieversorger, Leitungsbetreiber, Projektentwickler und Immobiliengesellschaften sollten ihre bestehenden und geplanten Versorgungskonzepte zeitnah prüfen und gegebenenfalls anpassen, um rechtliche Risiken und zusätzliche Kosten zu vermeiden.
Der Gesetzgeber ist aufgefordert, den Widerspruch im EnWG zur europäischen Richtlinie so schnell wie möglich zu beseitigen und eine die Energiewende fördernde Klarstellung aufzunehmen.
Wenn Sie Fragen zu den oben genannten Themen haben, dann kontaktieren Sie uns gerne – wir freuen uns auf Ihre Nachricht.


