Am 28. November 2024 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Vereinbarkeit der deutschen Regelungen zur Kundenanlage mit der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944. Das Urteil könnte weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung der Energieversorgung in Deutschland haben, da es die geltenden deutschen Regelungen zur Kundenanlage als unvereinbar mit dem Unionsrecht einstuft.
Was versteht man unter „Kundenanlagen“?
Gemäß § 3 Nr. 24a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) handelt es sich bei einer Kundenanlage um eine Energieanlage, die in einem räumlich zusammenhängenden Gebiet allen Letztverbrauchern unentgeltlich zur Verfügung steht und für den Wettbewerb unter Energielieferanten und Netzbetreibern unbedeutend ist. Solche Anlagen brachten bisher für den Anlagenbetreiber den Vorteil, dass er die Pflichten eines Netzbetreibers nicht einhalten musste. Zusätzlich konnten die Anlagenbetreibern Kosten für Netzentgelte sparen und so eine wirtschaftlichere Stromversorgung im Rahmen einer dezentralen Energieversorgung realisieren.
Das Urteil des EuGH: Keine Abweichung von der EU-Definition „Verteilernetz“
Die zentrale Frage des Gerichtsverfahrens vor dem EuGH war, ob die deutschen Vorschriften zur Kundenanlage mit den Bestimmungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 im Einklang stehen. Diese Richtlinie definiert den Begriff „Verteilernetz“, ohne ihn jedoch genau festzulegen. Der EuGH klärte, dass es sich bei Verteilernetzen um Anlagen handelt, die Elektrizität auf einer Hoch-, Mittel- oder Niederspannungsebene weiterleiten und die zum Verkauf an Großhändler und Endverbraucher bestimmt sind.
Dabei stellte der EuGH klar, dass ein Verweis auf die nationale Gesetzgebung der Mitgliedstaaten nicht ausreichend ist, um von dieser Definition abweichende Kriterien zuzulassen. Vielmehr müsse der Begriff „Verteilernetz“ EU-weit einheitlich ausgelegt werden, und es seien keine nationalen Sonderregelungen zulässig. Das bedeutet konkret: Ein „Verteilernetz“ muss immer der Weiterleitung von Elektrizität auf diesen Spannungsebenen dienen und darauf ausgerichtet sein, Strom für den Verkauf zu transportieren.
Warum ist dieses Urteil so bedeutend?
Das EuGH-Urteil hat weitreichende Auswirkungen auf die deutsche Praxis der Kundenanlage. Bisher konnten Betreiber von Kundenanlagen diese Strukturen nutzen, um sich von den Pflichten eines Netzbetreibers zu befreien und damit wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Diese Praxis ist nun in Frage gestellt. Ein weiterer zentraler Punkt des Urteils ist die Feststellung, dass die Definition des „Verteilernetzes“ nicht national abgeändert werden darf. Diese Festlegung auf eine einheitliche Auslegung könnte die Flexibilität in der Gestaltung von Energieinfrastrukturen stark einschränken.
In der Praxis bedeutet dies, dass Betreiber von Kundenanlagen möglicherweise nicht mehr von der Befreiung der Netzentgelte profitieren könnten.
Mögliche Folgen des Urteils: Gesetzesänderungen und Unsicherheit
Das Urteil des EuGH ist ein Aufruf zur Reform des deutschen Rechts, insbesondere in Bezug auf die Regelungen zur Kundenanlage. Eine Gesetzesänderung könnte erforderlich werden, um die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen. Es ist jedoch unklar, in welchem Umfang und in welchem Tempo diese Änderungen vorgenommen werden.
Sowohl die vollständige Abschaffung der Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG oder eine Neugestaltung der Regelungen sind denkbar. Für die Akteure auf dem Energiemarkt, die auf die Kundenanlage angewiesen sind, könnte dies weitreichende Auswirkungen haben – insbesondere im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit von dezentralen Stromversorgungsmodellen.
Gleichzeitig bietet diese anstehende Gesetzesänderung auch die Möglichkeit, bestehende Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft zu prüfen und anzupassen.
Fazit: Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Energiepolitik?
Das Urteil des EuGH setzt einen klaren Impuls für eine Vereinheitlichung der rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU. Die Regelungen zur Kundenanlage müssen nun an die Anforderungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie angepasst werden. Dies könnte nicht nur Auswirkungen auf die Betreiber von Kundenanlagen haben, sondern auch auf die gesamte Struktur der dezentralen Energieversorgung in Deutschland. Die genaue Ausgestaltung der Änderungen bleibt abzuwarten – klar ist jedoch, dass das Urteil einen wichtigen Wendepunkt für die europäische und nationale Energiepolitik darstellt.